Ungegenständliche Malerei I nonobjective painting

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Rede von Dr. Martin Stather anlässlich der Ausstellungseröffnung in der Stadtgalerie Mannheim, 7. Mai 2008

Non objective paintings


Leinwand oder Papier bilden das Geschehen der Malerei vor dem Betrachter ab. Als Fixpunkte in einer Reihe von Reflektionen über Mittel und Ausdruck besitzen Werke der Kunst eine Art objekthafte Statik, setzen sie Eckpunkte im Fluß geistiger Auseinandersetzung. Als Produkt dieser Auseinandersetzung destilliert das Werk Gedanken und vermittelt gleichzeitig den Vorgang der Entstehung, manchmal nachvollziehbar, manchmal nicht. Das jeweils gewählte Format steckt Grenzen ab, die gedanklich überschritten werden. Andreas Wolf schafft eine Malerei, die dem Fluß der Gedanken folgt, mit kalkuliertem Zufall arbeitet: Farbe, Flächen und grafisch-lineare Elemente bilden eine fein verknüpfte Komposition, die nach und nach prozesshaft entsteht. Flächen, die den Pinselduktus sehen lassen und glatte, monochrome Farbflächen bilden ein fein gewebtes Geflecht von Malerei, die keine gegenständliche Abbildung sucht. Zufall, Unbewußtes und bewußt Gesteuertes verbinden sich in Wolfs Malerei zu einem Bildteppich, der keine Tiefe und dreidimensionale Raumerfahrung abbildet, sehr wohl sich aber in verwobenen Schichten auf dem Malgrund ereignet. Wie Farbinseln verteilen sich Farbe und Linie auf der Leinwand, suchen die Verbindung zueinander und bilden ein unauflösbares Ganzes.

Die Kompositionen entstehen dabei im Prozeß des Malens, sind nur im Ansatz vorgedacht und spontan dem Einfühlungsvermögen und der Imagination des Malers unterworfen. Anders bei den kleinen Arbeiten und Arbeiten auf Papier, die alle mit Bleistift vorgezeichnet und kompositorisch durchgeplant sind. Die Bilder entwickeln beim Malakt trotz ihrer verhältnismäßigen Kleinteiligkeit eine gewisse Opulenz, die das Bildformat zu sprengen scheint. Das scheint jedoch nur so, denn schließlich ist das gewählte Bildformat bewußt begrenzt und die Komposition nimmt Rücksicht darauf.

Wir sehen Arbeiten aus den letzten vier Jahren, die deutlich machen, daß hier Malerei geschieht, die dem gleichen Impuls, jedoch unterschiedlichen Herangehensweisen folgt. Die älteren Arbeiten halten die Farbvaleurs im Großen und Ganzen auf der gesamten Malfläche und leben von starken Komplementärkontrasten. Die Vielschichtigkeit der Malerei erschließt sich dabei erst im Nachvollziehen der Arbeit. Gerade die neueren Arbeiten zeigen eine Hinwendung zu weniger opulenter Formenvielfalt und zu weniger dafür aber deutlicheren Farbkontrasten unter Einbeziehung von einzelnen Leuchtfarben. Auch das Weiß des Malgrundes wird stärker als Formelement ins Bild einbezogen und zusätzlich als Farbe genutzt. Aufrisse, Verschiebungen und Gitterstrukturen verselbständigen sich stärker – die Komposition gewinnt an Luft, an Klarheit und an einem diffizileren Gleichgewicht. Das große Glasbild behauptet sich gegen die beinahe sakrale Glaskunst der 50er Jahre hier in den schönen Räumen der Stadtgalerie im Rathaus besonders gut. Die Transparenz der beiden Bilder, die man beim Umrunden gegeneinander setzen kann, beherrschen den Raum mühelos. Man würde sich wünschen, daß in naher Zukunft ein Ort für die Stadtgalerie gefunden wird, der mit den Ambitionen der Stadtspitze, Kulturhauptstadt zu werden, korrespondiert. Wolfs Bildwelt folgt ihren eigenen Gesetzen und hat auf den Betrachter die beunruhigende Wirkung einer Urwaldexpedition, bei der man nicht vorhersehen kann, was im nächsten Augenblick geschehen wird. Eine wunderbare Malerei aus fließender Bewegung und abrupter Veränderung lassen den Prozeß des Malens als ein Ineinandergreifen verschiedenster, teils widersprüchlicher Ansätze und Denkbarkeiten transparent werden.

Auf den Erfahrungen der Moderne fußend, ist sich Andreas Wolfs Malerei der Kunstgeschichte, zumal des 20. Jahrhunderts, sehr bewußt. Gerade deshalb jedoch beharrt sie eigensinnig auf einer Eigenständigkeit des Ausdrucks und ist vor allen Dingen dem Sehen und Denken verpflichtet, das seine eigenen Wege geht. Wolfs Arbeiten behaupten sich in ihrer spielerisch-programmatischen Entwicklung und Darlegung grafischer und malerischer Grundelemente. Ungegenständliche Malerei at its best – sonst nichts.

Martin Stather

Space and Relations | Dr. Anna E. Wilkens

Andreas Wolf’s non-representational paintings


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Some thoughts on why and how non-representational painting is important and in what way it may make a significant contribution to our lives.

The difference between visual art and other emanations of cultural life may be its constitutive mind-body duality. Objects of art are there to be perceived with our senses, yet also act on the minds of those who contemplate or create or participate in them; this being their ideal aspect. Assuming that a painting has a meaning, it follows that it is either an aggregation of intelligible signs or forms such a sign in its entirety.

However, the non-representational painting is not about legible signs at all – lest it would not be non-representational but, at best, abstract (understood as implying something concrete as the basis of an abstraction or condensation). The meaning of a non-representational painting is located beyond a statement compounded of signs; the painting is not a combination of visual symbols that may be (re-)translated into language to reveal a purpose, tell a story, purport a philosophical truth, yet the painting itself is that truth.

This truth is the relationality without which no painting – this, incidentally, is true even for representational, figurative or abstract paintings – can exist, without which it is not a painting. Conversely: That which exists in every painting is the relation of each single element to all other components, that in their interplay form the painting, are the painting. You have to imagine that we do not start out with a heap of component parts to be coaxed into engaging in various relations; without the relations, the in-between, that which is between all the colours, lines and planes, the painting could not, would not be; the relationality, the mesh of connections, is not the painting’s conditio sine qua non, but its conditio per quam. The painting transcends two-dimensionality. Firstly, plane becomes space through superimposed layers of paint. Depending on the painting, this is more or less evident – there are instances in which the material characteristics of the paint form an essential component of the impact. Secondly, the arrangement of the coloured areas creates a spatial effect. Thirdly, a painting has and is part of a spatio-temporal environment. Still, while a painting may be subjected to temporal processes such as those of creation and reception, it remains a thing.

A painting therefore, being situated in space, is always embedded into a context, however its nature, the painting enters into a relation, a dialogue with this context and transcends, grows beyond the boundaries of its – real or imaginary – frame. It extends into space, and those looking at it are gathered into its sphere, thus in a sense becoming part of the painting and its relationality. Similar principles of extension, or rather: of being extended, of being receptive to and meshed with an environment apply to the process of creation; for a work of art is always a collective event, because its creators as well as those who come to look at it are part of a community of humans, have grown up in it, have been moulded by it. This moulding is in its essence a process, unfinished, infinite. During the gestation of a painting, the moulding is a two-way process. The creation and reception of painting is essentially conditional upon an environment as well as performative, changing itself and the environment in its actualisation. An artefact, a painting is an object that springs from a process that is far more comprehensive than simply the act of painting; the painting itself is an object undergoing and participating in a process, the process of communication between the picture, its surroundings, and its viewers and thus, if indirectly, between the entire worlds of painter and viewer.

In conclusion: Non-representational painting, while certainly not one of life’s basic necessities, yet occupies an elevated position in the realm of cultural manifestations. There, it is irreplacable, since no other practice is equally equipped to manifest the relationality of the particular object, its manifold interconnections with a plenitude of diversity. It is precisely through the non-symbolic nature of its colours, lines, planes and structures that non-representational painting is removed from conceptuality, thus making space for the Non-identical (Adorno), for the manifold and for the fact that any multitude is of necessity interconnected through relations. Anna E. Wilkens.

Was Kunst überhaupt von anderen Formen kulturellen Lebens unterscheidet, ist sicherlich eine für sie notwendige Verbindung von Körper und Geist; Kunstgegenstände sind solche, die wahrgenommen werden können, also eine sinnliche Seite haben, und gleichzeitig auf den Geist der Rezipierenden oder Teilnehmenden oder Schaffenden wirken, also eine ideelle Seite haben. Wenn wir davon ausgehen, dass Bilder bedeutungsvoll sind, dann folgt daraus, dass ein Bild entweder aus intelligiblen Zeichen besteht oder in seiner Gesamtheit ein solches ist. Es geht im ungegenständlichen Bild aber gerade nicht um lesbare Zeichen, sonst wäre es nicht ungegenständlich, sondern allenfalls abstrakt. Die Bedeutung des ungegenständlichen Bildes liegt jenseits einer durch Zeichen gebildeten Aussage, es ist nicht ein Satz von Zeichen, der eine Aussage bilden würde, eine Geschichte oder eine sprachlich vermittelbare etwa philosophische Wahrheit, die aus Bildmitteln in Sprache übersetzt werden müsste, sondern das ganze Bild ist diese Wahrheit. Diese Wahrheit ist die Relationalität, ohne die kein Bild auskommt – auch kein irgendwie abbildendes als gegenständliches oder abstraktes, ohne die es gar kein Bild ist. Umgekehrt: Was in einem Bild immer enthalten ist, ist die Beziehung aller Elemente im Bild zu allen anderen, die erst in ihrem Zusammenwirken ein Bild ausmachen, das Bild sind. Das muss man sich so vorstellen, dass nicht erst alle Einzelelemente da sind, die dann in eine Beziehung zueinander treten, sondern ohne die Beziehung, das Zwischen, das zwischen allen Farben, Linien, Flächen Liegende ist das Bild gar nicht, die Relationalität, das Beziehungsgeflecht ist nicht eine conditio sine qua non, sondern die conditio per quam. Das Bild geht hierbei über die Zweidimensionalität hinaus. Die Fläche wird zum Raum zum einen durch das Übereinanderliegen der Farbschichten. Dies ist mehr oder weniger gut sichtbar auf verschiedenen Bildern; bei einigen jedoch ist die Materialität der Farbe selbst konstitutiv für die Bildwirkung. Zum anderen entsteht durch die Anordnung der Farbflächen Raumwirkung. Drittens steht (hängt) das gemalte Bild in einem räumlichen Kontext. Allerdings ist das Bild nur mittelbar in der Zeit, es hat zwar Teil an zeitlichen Abläufen – des Schaffens und der Rezeption – ist aber doch Gegenstand. Bilder haben also immer einen Kontext, weil sie sich im Raum befinden, wie auch immer dieser Kontext aussehen mag, das Bild geht eine Beziehung zu ihm ein, es ist also mehr als nur das innerhalb des tatsächlichen oder gedachten Rahmens sich Befindende. Es breitet sich im Raum aus. Alle Betrachtenden werden so zu einem Teil des Kontextes des Bildes, geraten in die Einflusssphäre des Bildes und werden so gewissermaßen selbst Teil des Bildes und seiner Relationalität. Für den Schaffensprozess gelten ähnliche Prinzipien der Ausweitung, oder besser: des Ausgebreitetseins, der Öffnung in die Umgebung hinein, denn ein Kunstwerk ist immer ein kollektives Ereignis, indem sich sowohl die Kunstschaffenden wie auch die Betrachtenden in einer Gemeinschaft von Menschen befinden, in ihr aufgewachsen, von ihr geprägt sind. Diese Prägung ist prozesshaft und unabgeschlossen, unendlich also. Auch während des Malens wirkt diese Prägung nicht nur, sondern sie erfolgt. Alles Bildererschaffen und -rezipieren ist immer sowohl bedingt als auch performativ, also in seiner Aktualisierung sich und die Umgebung verändernd. Ein Kunstwerk, ein Bild, ist ein Gegenstand, das aus einem Prozess entspringt, der viel mehr einbezieht als nur das Malen; als gemaltes ist das Bild ein Gegenstand, der sich ebenfalls in einem Prozess befindet, dem des Rezipierens und dem der Kommunikation zwischen Bild und umgebendem Raum und Betrachtenden, und so, indirekt allerdings, zwischen der gesamten Welt der Malerin und der gesamten Welt der Betrachterin.

Zum Abschluss: ungegenständliche Malerei ist sicherlich nicht notwendig zur Lebenserhaltung, nimmt aber innerhalb kultureller Erscheinungen einen herausragenden Platz ein; dort ist sie unersetzlich, weil keine andere Praktik in gleicher Weise die Relationalität des Partikularen, das Verbundensein in der Vielheit des Verschiedenen zeigen und sein kann. Gerade durch das Nicht-Zeichenhafte der Farben, Linien, Flächen, Strukturen ist die ungegenständliche Malerei entfernt vom Begrifflichen und hat so Raum für das Nichtidentische, das Viele und für das Faktum, dass dieses Viele immer schon beziehungshaft verbunden ist.

Artist’s Statement

The object of my non-representational work is developing complexly structured pictorial spaces. Every painting starts from a blank canvas; there is no preconceived idea, concept or strategy and there are no titles for the finished paintings. The starting point is the first colour patch, point or line, to which I then react with corresponding or contrasting patches, lines or points. In painting I try to find that moment, in which openness and the definitive are balanced. Each and every single element of the picture should interact with all of the others. I try to set focal points or emphases, but these should never overpower the equilibrium of ambiguity. The painting is finished, if and when it resists an immediate comprehension, but offers at least one or a few different ways of perception or interpretation. For me it is interesting to note how I myself react to the picture’s visual structures; somehow on a physical level, like intuition, and it’s interesting to notice how paintings sometimes ‘work’ and sometimes don’t. The finished picture is a kind of chronicle of its own creation – an ongoing process which continues in the next painting, with the experience gained during development of the previous one. The pictorial elements do not depict anything specific but instead represent the concept of process. The overreaching idea of my paintings is the question: how human beings perceive abstract images and how orientation in complex pictorial structures functions.

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